Wie sieht wohl der Alltag eines Menschen aus, der das KZ Buchenwald miterlebt und vor allem überlebt hat? Um diese Frage und noch einige mehr zu beantworten, besuchte uns am 03. Mai 2024 Andrei Ivanowitsch Moiseenko. Ermöglicht wurde das Ganze durch die „Landesservicestelle Lernorte des Erinnerns und Gedenkens“ mit der Unterstützung der Brücke | Most Stiftung,
gefördert durch das Staatsministerium für Kultus.
Bevor die Schülerinnen und Schüler persönlich Fragen an den Zeitzeugen stellen durften, wurde der Film „Ja, Andrei Ivanowitsch“ vom Regisseur Hannes Farlock gezeigt. Ihm war es wichtig, eine Dokumentation zu drehen, welche nicht in düsterer Erinnerung schwelgt, sondern eher Ivanowitschs Lebensfreude und positive Einstellung von heute zeigt.
Das Kamera-Team des Regisseurs begleitete Andrei fast drei Jahre lang in seinem Alltag und während den Besuchen der Gedenkstätte Buchenwald. Im Film erzählt Ivanowitsch von seiner Jugend, er habe sich allein um seine vier Geschwister kümmern müssen, da seine Eltern früh gestorben seien. Er sei dadurch in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, weshalb er auch nicht gezögert habe, als ihm ein Arbeitsplatz in Deutschland angeboten wurde.
Dort habe er in Leipzig für die Firma HASAG gearbeitet. Bis er 1944 von der Gestapo als Jugendlicher nach Buchenwald gebracht worden sei. Er habe unter grausamen Bedingungen seine Arbeit im Steinbruch verrichtet. Dass er das überlebt habe, sei Zufall gewesen, berichtete er später.
Nach der Befreiung durch die Amerikaner am 14. April 1945 sei er der roten Armee beigetreten und habe dort seinen Militärdienst für sechs Jahre ausgeführt. Dann habe er seine Schulbildung nachgeholt, studiert und anschließend im Büro gearbeitet. Er habe vorerst nicht viel über seine Erfahrungen in Buchenwald gesprochen, da er mit dieser Vergangenheit keine Arbeit gefunden habe. Mittlerweile empfinde er es als seine Pflicht über seine Erlebnisse zu sprechen, denn das sei sein Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens.
Moiseenko erzählt, er besuche die Gedenkstätte Buchenwald mindestens einmal jährlich, zum Jahrestag der Befreiung Buchenwalds. Er sei trotz der schrecklichen Erlebnisse keinerlei hasserfüllt gegenüber Deutschland. Im Gegenteil, sagt er, er bewundere die Deutschen dafür, wie sehr sie sich im letzten Jahrhundert zum Besseren gewandelt hätten.
Im Anschluss an den Film und einer kurzen Pause tritt Andrei Ivanowitsch dann selbst vor die Schülerinnen und Schüler der Obergruppe und der 9. Klasse. Er wird empfangen von applaudierenden jungen Menschen und machte sich zügigen Schrittes und mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf den Weg zur Bühne im Theaterraum. Unvorstellbar, dass dieser Mann wenige Tage zuvor seinen 98. Geburtstag gefeiert hatte.
Die Fragerunde sollte gedolmetscht werden, dem entsprechend war die Überraschung groß, als Andrei von zwei unserer Schülerinnen in seiner Muttersprache begrüßt wurde. Auf die Frage, ob er in Buchenwald Angst vorm Tod gehabt habe, antwortete er, dass seine mentale Kraft durch die grausamen Lebensbedingungen gar nicht dazu ausgereicht habe, um sich Gedanken über den Tod zu machen. „Alle Gedanken waren vernichtet“, erzählte er.
Als er nach dem Gefühl während der Befreiung durch die Amerikaner gefragt wurde, meinte Andrei, er könne die Freude, die er in diesem Moment verspürt habe, nicht in Worte fassen.
Er betonte mehrfach, er habe durch Arbeit und Lernen sehr viel Kraft aufbringen können, um die Geschehnisse verarbeiten zu können. Damit verbringe er auch heute noch seine Zeit, obwohl er seit 20 Jahren in Rente sei, finde er immer wieder Arbeit auf seiner Datscha.
Andrei Ivanowitsch machte sein Ziel mehr als deutlich: zu verhindern, dass sich die Geschehnisse wiederholen, indem er vor allem Jugendliche darauf aufmerksam macht, denn diese seien Verantwortlich dafür, dass so etwas nie wieder passiert.
Johanne Enderlein – ehemalige Schülerin und Praktikantin an der Jenaplanschule